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Im Interview

Wie sehen junge US-Amerikaner*innen die politische Situation in ihrem Land? Wie kann der Dialog in einer polarisierten Gesellschaft funktionieren? Unsere Alumna Jana Glaese sprach darüber mit Frido Mann.

Besuch des US-Generalkonsulats

Im Januar haben wir mit dem US-Generalkonsulat in Frankfurt die größte diplomatische Vertretung der USA weltweit besucht.

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Alumni im Portrait

Welche Wege haben die Stipendiat:innen nach ihrem Aufenthalt in den USA eingeschlagen? Wo arbeiten und engagieren sie sich heute? ERP-Alumni stellen sich vor.

Besuch des US-Generalkonsulats in Frankfurt

Im Januar waren wir zu Gast beim US-Generalkonsulat in Frankfurt. Dabei handelt es sich um das größte US-Konsulat der Welt. Dort wird die Tätigkeit vieler US-Auslandsvertretungen in anderen Teilen der Welt koordiniert und unterstützt.

Neben Teilnehmer-/innen aus dem ERP-Alumniverein und dem McCloy-Alumniverein waren auch Mitglieder des Harvard- und Columbia-Clubs eingeladen und anwesend. Nach einer Begrüßung durch Generalkonsul Thatcher Scharpf haben Mitarbeiter des Generalkonsulats ihre Arbeit vorgestellt. So konnten wir einen Einblick in die Prozesse für die Visa- und Passvergabe, die transatlantische Wirtschaftsförderung, den Schüler- und Studentenaustausch und die Kooperation in Sicherheitsfragen und bei der Verfolgung von Straftaten bekommen.

Nach den Vorträgen hatten wir Gelegenheit, uns zu Hause bei Ina Frost und Peter Wand bei Häppchen und Wein über den Tag auszutauschen und zu vernetzen.

Frido Mann: „Die Demokratie hat noch gar nicht richtig begonnen“

Die Familie Mann trat während ihres Exils in den USA in den Vierzigerjahren immer wieder für den Erhalt der Demokratie ein. Dieses Erbe führt Frido Mann – Schriftsteller, Psychologe und Enkel von Thomas Mann – heute passioniert fort: Im Interview sprach er mit uns über seine jüngste Vortragsreise durch die USA, die Grundlagen des Dialogs und den Stand der transatlantischen Beziehungen.

Frido Mann im März 2018 am Eingang zum Thomas Mann House | Fotografin: Milena Heißerer

Frido Mann im März 2018 am Eingang zum Thomas Mann House | Fotografin: Milena Heißerer


ERP-Alumniverein: Herr Mann, Sie selbst sind in Kalifornien, Monterey, geboren und dort bis zu Ihrem neunten Lebensjahr aufgewachsen, sowohl bei Ihren Großeltern Katia und Thomas Mann in den Pacific Palisades als auch bei Ihren Eltern in San Francisco. An welche Erfahrungen aus dieser Zeit denken Sie oft zurück? Was war das damals für ein Land, in dem Sie aufgewachsen sind?

Frido Mann: Auf der Straße, in der Schule oder auch bei Freunden zu Hause fühlte ich mich als Amerikaner. Zu Hause war ich natürlich schon Europäer, da wurde Deutsch gesprochen, da war die deutsche Kultur. Sowohl bei meinen Eltern als auch bei meinen Großeltern wurde deutsche Kultur gepflegt und Deutsch gesprochen. Meine Eltern haben mir einmal erzählt, sie hätten in den allerersten Jahren vor lauter Abgrenzung von Deutschland versucht, in der Familie auch Englisch zu sprechen, aber es hätte dann wirklich nicht geklappt. Auf Dauer hätten Sie wieder zurückkehren müssen zu ihren alten Gepflogenheiten. Aber da sieht man: Das ist eine Frage der Identifikation. Ich habe eine Doppelidentifikation gehabt. Und in vielen Dingen, wenn ich die Amerikaner heute so sehe, sehe ich immer noch sehr viele Ähnlichkeiten.

Aber natürlich war es eine andere Zeit. Es war ja auch Kriegszeit und Nachkriegszeit. Konkrete Erfahrungen habe ich damals, in den ersten sechs Lebensjahren, so bewusst noch nicht viele gemacht. Aber dann zum Kriegsende, während der McCarthy-Zeit, hat meine Familie sehr gelitten unter der ganzen Entwicklung und da gibt es leider auch Parallelen zu heute. Aber Amerika ist Amerika. Irgendwo ist es das geblieben. Es ist schlimm, wie die Makrostruktur in der Kommunikation – also die politischen Auseinandersetzungen – negativ von Feindseligkeit, von Abgrenzungen der beiden Parteien voneinander geprägt ist, aber die einzelnen Menschen auf der Straße, im Alltag, in der Nachbarschaft, Öffentlichkeit, Straßenbahn, die sind anders. Die sind unglaublich kommunikativ. Von daher ist es irgendwo das alte Land geblieben.

 

Gibt es eine besonders schöne oder vielleicht auch eine besonders traurige Erfahrung, an die Sie sich aus diesen Jahren erinnern?

Nein, ich meine, es war einfach so ... schön. In der Schule zum Beispiel war ein sehr starker Zusammenhalt. Jeden Morgen stand die ganze Klasse auf und sang die Hymne, die amerikanische Hymne. Das war schon sehr bemerkenswert und ist zum Teil auch heute noch so. Die amerikanische Flagge stand mannshoch neben dem Lehrer und die Jungs mit Saluthaltung und die Mädchen mit der rechten Hand auf dem Herzen. Ganz traditionell wie in der Gründerzeit noch. Das hatte schon was. Da fühlte man sich stolz, zu diesem Land zu gehören. Das war die Zeit. Als ich dann anfing, bewusst zu denken, da hatte Amerika den Krieg gewonnen und einen ganz schlimmen Widersacher in die Knie gezwungen.

 

Sie beschreiben in Ihrem Buch „Das Weiße Haus des Exils“, wie Ihre Großeltern 1952 dann doch schweren Herzens das neugewonnene Zuhause verlassen mussten und sich in ein zweites Exil in die Schweiz begaben. Grund dafür war, Sie haben es angedeutet, die McCarthy-Ära. Welche Rolle konnte Ihre Familie in der transatlantischen Verständigung noch vor dieser Ära einnehmen?

1938 hatte mein Großvater ja bereits diesen berühmten Aufsatz geschrieben – oder diese Rede, es war ja eine Rede – „The Coming Victory of Democracy“. Er ist damit durch 15 Städte in den USA gereist und hat diese Rede gehalten, sozusagen an der Seite von Roosevelt. Mein Großvater hat eigentlich die Auffassung und die Mentalität von Roosevelt geteilt und mitgetragen: Amerika sollte trotz des Isolationismus, den das Land schon im Ersten Weltkrieg an den Tag gelegt hatte, in den Krieg eintreten. Es half nichts. Meine Familie unterstützte dies an vorderster Front.

Einzigartig war auch, dass mein Großvater nicht nur am Schreibtisch saß und seine Romane schrieb wie die anderen Exil-Schriftsteller, sondern sich wirklich aktiv eingeschaltet hat, beispielsweise durch seine Rundfunkansprachen „Deutsche Hörer!“. Auch meine Eltern haben bei San Francisco auf einer Schiffswerft am Bau von Kriegsschiffen mitgewirkt. Einfach, um etwas beizutragen. Das wollte man als Amerikaner. Ich weiß noch, dass mein Vater sich da einmal verletzt hat. Er ist leicht gestürzt und hat sich das Bein aufgerissen. Irgendwie waren wir da stolz auf ihn. Wenn wir baden gingen am Strand in der Gegend, sah man die Wunde. Man sah hautnah, dass er für den Krieg etwas getan hatte. Für das eigene neue Land.

 

Über die Jahre, die Ihr Großvater dort war, hat sich sein Verhältnis zu den USA verändert. Können Sie beschreiben, wie sich seine Einstellung über die Zeit gewandelt hat?

Es ging schon los, als wir alle von unserer ersten Europareise im Sommer 1947 zurückkamen. Im Herbst '46 hatten sich die Mehrheitsverhältnisse im Kongress geändert. Die Republikaner waren nun die Chefs. Im Herbst '47, als wir zurückkamen aus Europa, wurden die ersten Leute verhaftet, die antikommunistische Schnüffelei fing an. Thomas Mann war da schon sehr aufgebracht. Und das wurde dann über die Jahre immer schlimmer. Er hat sich mit einem Pastor von der unitarischen Kirche, in der alle vier Enkel auf seinen Wunsch hin getauft wurden, zusammengetan. Auch diesen Reverend führte das „Committee on Unamerican Affairs“, auf Deutsch „Komitee gegen antiamerikanische Umtriebe“, bald auf seiner schwarzen Liste. Im Frühjahr '49 erschienen dann in einer „Life Magazine“-Zeitung Steckbriefe von 50 „Linken“ – unter ihnen Albert Einstein, Charlie Chaplin und eben auch Thomas Mann. Ein kleines Foto, darunter der Name und der Beruf. Das sind die bösen „Roten“. Das war eine ganz schlimme Zeit. Eigentlich wollten mein Großvater und meine Großmutter schon 1950/51 auswandern, haben es aber wegen des Hauses in Kalifornien nicht getan. Sie wussten nicht, was sie damit machen sollten. Sehr spät erst, als die Verfolgung unter McCarthy dann richtig anfing, sind sie im Frühjahr '52 weg. 

Sie selbst haben Kalifornien ja auch verlassen.

Wir sind '49 schon weg. Das hatte auch mit dem Beruf meines Vaters zu tun. Der war Musiker und wollte in Europa etwas Neues probieren. Nicht immer nur im Orchester spielen, sondern eine Solisten-Karriere machen. Wir waren die Ersten, die auswanderten. In dieser Zeit habe ich meine Großeltern nicht viel gesehen. Sie kamen jeden Sommer – '49, '50, '51. Immer waren sie da und sind wieder zurück. Die Aufenthalte in Europa wurden jedoch immer länger und im Frühjahr '52 haben sie es endlich geschafft, das Land zu verlassen. Im ersten Jahr in der Schweiz wohnten sie in einem kleinen Mietshaus am nebligen, kalten Züricher See. Mein Opa war dort furchtbar unglücklich. Er hatte Sehnsucht nach seinem Kalifornien, nach seinem Haus.

Katia und Thomas Mann mit ihren Enkelkindern Frido und Toni im Garten. | TMA 0372, ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv | Fotograf: Unbekannt

Katia und Thomas Mann mit ihren Enkelkindern Frido und Toni im Garten. | TMA 0372, ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv | Fotograf: Unbekannt

Für Sie war das eine ähnliche Geschichte. Sie beschreiben in Ihrem Buch, dass auch Sie unheimlich Heimweh hatten und sehr gelitten haben unter dieser Umsiedlung. Nach wie vor haben Sie die amerikanische Staatsbürgerschaft und sind dem Land sehr verbunden. Wie haben Sie seit Ihrem Umzug die Entwicklung in den USA miterlebt?

Sehr kritisch und sehr schmerzlich. Die ersten Jahre hatte ich wirklich noch Heimweh und war noch ganz stolz. Wir waren in Österreich, am Salzkammergut und wenn dort einmal amerikanische Militärjeeps und Lastwagen vorbeifuhren, schlug mein Herz sofort höher. Ich stand an der Seite und beobachtete sie. Auch Kennedy war noch ein ganz großes Idol von mir. Da war ich Anfang 20.

Aber ab dem Vietnamkrieg ging es sehr, sehr bergab. Ich habe darunter gelitten, dass Amerika die Rolle eines Weltpolizisten spielte. Auch wenn Kennedy innenpolitisch gute Politik machen wollte, seine Außenpolitik war eine Katastrophe. Ob das Kuba war oder seine Vorbereitung des Vietnamkriegs... Er hätte den Krieg fast angefangen und hätte ihn auch geführt, aber ist dann umgebracht worden. Etwas mehr als ein Jahr nach seinem Tode ist der Vietnamkrieg dann losgegangen. Von diesem langen katastrophalen Krieg hat sich Amerika nie erholt. Und der ganze weitere Niedergang, den ich erlebt habe in den Achtzigerjahren, ... Reagan, eine Katastrophe! Solche Leute haben Amerika heruntergezogen. Bei Bush wollte ich meine amerikanische Staatsbürgerschaft schon zurückgeben, aber habe das dann glücklicherweise nicht getan. Da kam plötzlich das Wunder von Obamas Präsidentschaft. Etwas völlig anderes! Aber effektiv konnte er auch nur vier Jahre regieren. Während der zweiten Legislaturperiode hatte er ja immer mit der republikanischen Mehrheit im Kongress zu kämpfen. Aber wer hätte gedacht, dass es noch einen Präsidenten wie Trump geben wird? Das ist ja noch viel schlimmer als alles zuvor.

 

Ich höre heraus, dass Sie, seitdem Sie das Land verlassen haben, die politische Entwicklung in den USA als stetige Verschlechterung empfunden haben.

Ja, genau. Ich habe trotzdem Hoffnung. Die Vereinigten Staaten sind die älteste Demokratie. Sie haben nicht wie England eine parlamentarische Monarchie gehabt. Sie kannten von Anfang an keinen König. Sie haben überlegt, ob sie George Washington zum König krönen wollen. Aber nein, sie haben es nicht gemacht. Die amerikanische Demokratie hat schon viele Krisen durchgemacht: den Bürgerkrieg und die Große Depression und all die Geschichten. Es ist ein wahnsinniges Auf und Ab gewesen. Die Amerikaner haben eine riesige Zahl von abgeschlachteten Ureinwohnern auf dem Gewissen. Dazu kommt deren massenweise Versklavung. Und trotzdem: Sie haben zwischendurch ihre ganz großen Zeiten gehabt. Amerika ist ein extremes Land. Deswegen ist irgendwo in mir doch noch etwas hängen geblieben an Hoffnung und an Sympathie.

 

Das ist ein sehr schöner Übergang zu meiner nächsten Frage. Ich möchte genauer auf die Vortragsreise eingehen, die Sie im letzten Herbst durch die USA unternommen haben. Sie trägt den programmatischen Titel „Democracy will win“. Was macht Sie da so optimistisch?

Das war eigentlich gar nicht mal optimistisch gemeint, sondern eher kämpferisch. Der Titel stammt im Grunde aus dem Jahr 1938. Da hieß die Rede meines Großvaters „The Coming Victory“. Es war die Zeit, in der der Faschismus noch richtig greifbar war. Ganze Länder in Europa waren völlig von ihm eingenommen und man konnte ihn nur mit Krieg vertreiben. Das war greifbar, das war sichtbar, man schickte eine Armee hin und gewann. Dies war das „win“, das bei Thomas Mann mitschwang, und das habe ich sozusagen übernommen, in der Hoffnung, ein bisschen Mut zu verbreiten.

„Democracy will win“ ist im Grunde eine Botschaft an die Amerikaner. Ich will sie auffordern oder ermutigen, die völlige Stagnation in der Sprachlosigkeit, in der Feindseligkeit der Menschen untereinander, zu überwinden. Und im Kleinen können sie das ja auch gut. Warum können sie sich nicht zusammenfinden und auch über die großen Fragen anders diskutieren als jetzt? Diesbezüglich habe ich auf meiner Vortragsreise übrigens ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. In Denver im mittleren Westen, zum Beispiel, haben zahlreiche High-School-Direktoren meine Besuchsanfragen abgelehnt. Die Polarisierung sei zwischen den Kindern und auch zwischen den Eltern zu groß. „Das gibt so viel Unruhe.“ Die haben alle abgesagt. So etwas wäre undenkbar gewesen in Washington, New York oder in Los Angeles. In Kansas habe ich zwar eine High School besucht, aber das Gespräch war nicht einfach. Ein Lehrer fragte mich dort, „Was halten Sie eigentlich von dem sozialistischen Gesundheitswesen in Deutschland?“

 

Und was haben Sie geantwortet?

„Ich halte sehr viel davon“, habe ich gesagt. (lacht) Ich bin dann gar nicht mehr dazu gekommen, zu erklären, dass „Sozialismus“ bei uns was anderes heißt. Das hatte keinen Sinn. Da waren 90 Kids, vier Lehrer und ich wollte mich nicht mit allen anlegen. Es war mehr ein Versuch, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. In Washington war ich an in einer High School mit lauter afroamerikanischen Schülern. Das war eine völlig andere Situation. Zwei Stunden lang habe ich gemeinsam mit einem tollen Lehrer den Unterricht über Demokratie geleitet. Also da habe ich unterschiedliche Welten erlebt ­– und deswegen auch dieser Titel „Democracy will win“: Einfach vorwärts blicken.

„Democracy will win“ ist eine Botschaft an die Amerikaner, die völlige Stagnation in der Sprachlosigkeit zu überwinden.”

 

Was haben Sie für Rückmeldungen bekommen, wie die Jugendlichen die politische Situation in ihrem Land bewerten? Gab es auch Antworten, die Sie überrascht haben?

Also überrascht hat mich der Besuch in Kansas City. Die 90 Schüler dort waren sehr still. Nur einige haben sich zu Wort gemeldet und ganz verwunderliche Dinge gesagt. Als ich fragte, „Was haltet ihr eigentlich von dieser Mauer, die der Präsident an der mexikanischen Grenze bauen will?“, kam sehr Unterschiedliches. Einige sagten, „die Mauer ist wichtig, damit die Schmuggler  und die ganzen Verbrecher, die da kommen, gebremst werden“. Andere sagten, „Nein, nein, wir wollen es nicht so machen wie in Berlin mit der Berliner Mauer, da sind wir dagegen“. Also das war ein Hin und Her, aber nur wenige haben etwas gesagt. Anschließend kamen aber einige nach vorne, haben mir stumm die Hand geschüttelt und sich bedankt. Da ist irgendetwas abgelaufen, das ich vorher nicht mitbekommen hatte. Irgendwie waren die froh, dass da einmal einer kam und einfach sagte, was er denkt.

 

Sie haben gerade beschrieben, dass die Resonanz auf Ihren Besuch sehr unterschiedlich ausfiel – je nachdem, in welcher Region Sie waren. Wie haben Sie die Zielorte bei Ihrer Vortragsreise ausgewählt?

Das war gar nicht ich. Die Lesereise habe ich in Kooperation mit dem Thomas Mann House geplant, wo ich im Frühjahr letzten Jahres auch als „ Honorary Fellow“ war. Der Programmdirektor des Thomas Mann House Dr. Blaumer hat die Tourziele zusammen mit Ansprechpartnern des Goethe-Instituts in Washington, Kansas und New York zusammengestellt. Ich glaube, er hat sich ein bisschen an den Reisen, die Thomas Mann zwischen 1938 und 1943 unternommen hat, orientiert. Es kamen bei mir zwar nicht 15 Städte heraus, aber immerhin 12.

Aber der Fokus lag schon auf den Küsten, oder?

Ja, ganz klar. Die Reise hat an der Küste, in New York, angefangen, ging dann ein bisschen hin und her, ziemlich bald in die Mitte, dann wieder zurück nach Washington, anschließend ganz in den Westen, bis in den Norden, dann nach Kalifornien und schließlich zurück nach New Hampshire. Alles in allem sechs, sieben Wochen.

Frido Mann auf seiner Vortragsreise, hier an der Cal State University in Long Beach, Kalifornien. | Fotografin: Courtney Yamagiva

Sie haben erwähnt, dass es eben einige Orte gab, in denen Ihr Angebot oder Ihre Einladung zum Dialog abgelehnt wurde.

An einer Stelle. Das war in Denver. Genau.

 

Wo liegen damit die Grenzen der Idee, Demokratie durch Dialog zu stärken?

In Washington hatten wir eine Diskussion darüber. Was kann man machen, wenn man sich in einer Art Blase befindet, in der alle Leute sich einig sind? Solche Blasen bilden sich vielerorts. Schon jenseits der Stadtgrenze von Washington, von den Großstädten allgemein, ist alles wieder sehr stark an Trump orientiert. Ein Vorschlag in der Diskussion war, Leute durch Schüleraustausche zusammenzubringen, auch wenn die Meinungen auseinandergehen und es dann mal „knallt“. Das Wichtigste ist doch, überhaupt erst einmal ins Gespräch zu kommen. Nichts ist schlimmer als Schweigen. Über Austausche können wir versuchen, Meinungsblasen zu sprengen, damit es ein bisschen zur Durchmischung kommt.

Ich glaube aber nach wie vor, dass man den gesellschaftlichen Dialog nicht nur durch einzelne Begegnungen lenken kann. Vieles wird sich jetzt im Wahlkampf zeigen. Ich hoffe, dass die Leute anfangen einzusehen, dass Trumps Politik doch nicht so toll ist, wie sie anfangs dachten. Es wundert mich, dass viele Amerikaner so lange zu ihm halten. Aber jetzt gerade bröckelt das... Und das ist auch schon der Anfang eines möglichen Dialoges. Jetzt muss man einfach ein bisschen abwarten und nicht zu sehr eingreifen wollen.

 

Und für Sie persönlich, gibt es da Grenzen des Dialogs?

Ja. Mir ist erst einmal wichtig, Menschen nicht allzu strikt in politische Lager einzusortieren. Es gibt eine wahnsinnig große Palette an Zwischenstufen. Wir sollten mit allen Menschen, mit denen wir irgendwo einen gemeinsamen Nenner haben, ins Gespräch kommen – vielleicht über den Alltag oder Interessen, die direkt mit Politik nichts zu tun haben. Wenn wir erst einmal einen solchen Zipfel haben, können wir auch über politische Themen reden, bei denen wir eigentlich nicht derselben Meinung sind. So finden wir vielleicht auch etwas mehr Verständnis für die andere Meinung. Grenzen sehe ich, wenn überhaupt kein gemeinsamer Nenner mehr zu finden ist. Dann hat der Dialog keinen Sinn. Donald Trump würde ich zum Beispiel nicht gerne treffen, um mit ihm zu reden. Das hat gar keinen Sinn. Das ist schon jenseits der Grenze.

 

In Ihrem bereits erwähnten Buch betonen Sie, wie wichtig es ist, dem Gesprächspartner mit einer gewissen Gelassenheit, vielleicht auch Distanzierung von sich selbst, zu begegnen, zuzuhören. Selbst dann, wenn dann die Meinung dann eine radikal andere ist. Gar nicht so einfach.

Nein, das ist es nicht. Es geht dabei hauptsächlich um die eigene Einstellung. Ich gebrauche hier den Begriff „Erfahrungsdialog“. Das ist etwas, was aus den alten Klöstern kommt. Dabei geht es gar nicht so sehr darum, was man sagt, sondern dass man sich in die eigene Situation vertieft. Meditativ gewissermaßen, kontemplativ. Je mehr man bei sich selber ist, desto mehr wächst auch die Bereitschaft, den anderen gelten zu lassen. Wenn man sich selber sicher in der Hand hat, dann kann man es sich leisten, Dinge zu hören, die man nicht akzeptieren oder nachvollziehen kann.

Von Leuten, die ihn noch kannten, weiß ich, dass Ben Gurion, der erste Ministerpräsident Israels, so einer war, der sich immer, bevor er handelte, zurückgezogen und meditiert hat. Erst dann hat er eine Entscheidung getroffen. Das ist die Grundlage des Dialoges. Unabhängig davon, was faktisch herauskommt.

 

Ich würde gerne noch auf das Thema des transatlantischen Dialoges zu sprechen kommen, den das Thomas Mann House nun mitbeleben soll. Beim Lesen Ihres Buches hatte ich den Eindruck, dass es Ihnen und Ihrem Großvater dabei nicht nur um Verständigung geht, sondern auch um Kritik. Der Dialog als Anstoß zur Selbstkritik. Würden Sie dem so zustimmen?

Ja, ich denke schon. Und je selbstkritischer man sich selbst gibt, desto mehr kann man auch als Beispiel gelten für andere. Anstatt wie Trump von Anfang an zu sagen, ich bin der Größte von allen. Das ist eine Unkultur, wenn man nur an sich denkt.

Das Thomas Mann House am San Remo Drive in the 1940er Jahren | TMA 8112, ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv | Fotograf: Unbekannt

Das Thomas Mann House am San Remo Drive in the 1940er Jahren | TMA 8112, ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv | Fotograf: Unbekannt

Was können wir denn in der politischen Debatte von den USA lernen?

Im Moment leider nicht viel. Aber ohne Amerika wäre für Deutschland keine Befreiung vom Faschismus möglich gewesen. Und Amerika hat Deutschland, also Westdeutschland, dann auch wirtschaftlich wieder auf die Beine gebracht und den Deutschen zum ersten Mal nachhaltig die Demokratie beigebracht. Deutschland war ja 1945 am Boden, auch moralisch gesehen. Das war aber damals. Was jetzt so schwer ist, ist, dass Europa – und Deutschland – sich langsam verselbstständigen und ihre eigenen Wege gehen müssen. Im Moment können wir von Amerika mehr aus der Geschichte lernen.

Ich finde aber nach wie vor, dass der Alltag in Amerika immer noch ganz anders ist. Solange man nicht über Politik redet, haben die Amerikaner immer noch einen Geist aus der alten Pionierzeit. Damals musste man zusammenhalten und sich das Land erobern. Das macht nicht nur hart, sondern schaffte auch von Anfang an eine Gemeinsamkeit. Dieser Pioniergeist, der ist in Amerika immer noch geblieben. Ich denke, dass man davon lernen kann. Die Amerikaner leben einem immer noch vor, dass man die Dinge nicht so ideologisch anpackt und einfach mal versucht. „Learning by doing“. Das ist in Deutschland oft schwieriger, weil wir dann doch zu bierernst und zu ideologisch sind. Wir müssen alles erst einmal planen und bürokratisieren und handeln dann erst. Und Amerika ist es umgekehrt. Obwohl es jetzt so bescheuert läuft dort drüben, von dieser Alltagsmentalität können wir immer noch etwas von lernen.

 

Und andersherum?

Umgekehrt würde ich auch genau das Gegenteil sagen. Die Amerikaner sollen nicht immer erst handeln und dann denken, was manchmal passiert. (lacht) Die sind sehr pragmatisch. Eigentlich ergänzen wir uns gut. Es wäre zu schade, wenn dieser transatlantische Dialog auf Dauer völlig abbrechen würde.

 

Wie Sie bereits andeuteten, wird von Europa in den letzten Jahren verstärkt eine neue Neuorientierung gefordert – hin zu mehr Selbstständigkeit. Es mehren sich die Abgesänge auf „den Westen“. Was halten Sie von solchen Warnungen vom Ende des Transatlantizismus?

Eine Pause oder eine Veränderung ist noch kein Ende. Das würde ich auch für die Demokratie sagen.  Es gibt immer Leute, die behaupten, „die Demokratie ist bald am Ende. Das war eine Phase“. Das ist Unsinn. Die Demokratie hat noch gar nicht richtig begonnen. Wir sind jetzt in den Anfängen. Am weitesten waren einmal die Amerikaner. Jetzt sind sie zurückgefallen. Sie sind auf halber Strecke stehengeblieben, aber das heißt nicht das Ende. In Europa oder im Nahen Osten genauso.

Das Gleiche gilt für die Frage, ob die zwei Kontinente jetzt noch zusammenhalten sollen oder nicht. Sollten wir anfangen, uns mehr am Osten zu orientieren? An Russland, an China? Da bin ich skeptisch. Natürlich können wir auch von denen etwas lernen. Unbedingt. Das sollten wir auch. Aber der grundgemeinsame Nenner ist immer noch zwischen Amerika und Europa, weil die beiden von derselben abendländischen Kultur abstammen, auch wenn sie sich unterschiedlich entwickelt haben. Wir müssen nun geduldig sein, bis die Situation es uns erlaubt, wieder zusammenzufinden. Es wird nie wieder zurückgehen in die Zeit der 50er, 60er, 70er Jahre, sondern es wird etwas Neues kommen. Da können wir nur neugierig sein.

Herr Mann, wir bedanken uns für das Gespräch. ///

Das Interview führte Jana Glaese.

 

Frido Mann

Frido Mann wurde 1940 in Monterey, Kalifornien, in die Schriftstellerfamilie Mann geboren. Nach dem Studium der Musik, Theologie und Psychologie, lehrte und arbeitete er lange im Bereich der Psychologie. Heute lebt Frido Mann als freier Schriftsteller in München. Das Exil seiner Familie in Kalifornien und ihr politisches Engagement beschreibt er in seinem 2018 erschienen Buch „Das Weiße Haus des Exils“ (S. Fischer). Als Ehren-Fellow des Thomas Mann House begab er sich im Herbst 2019 mit dem Vortrag „Democracy will win“ auf eine mehrwöchige Vortragsreise durch die USA.


Das Thomas Mann House

Das Haus am San Remo Drive in den hügeligen Pacific Palisades von Los Angeles bot Thomas und Katia Mann ein Jahrzehnt lang ein Zuhause. Sie lebten dort bis zu ihrer Rückkehr nach Europa 1952. Im Jahr 2016 kaufte die Bundesrepublik Deutschland das Haus, um einen „transatlantischen Debattenort“ zu schaffen. Im Rahmen des Residenz-programms beherbergt das Thomas Mann House renommierte deutsche Intellektuelle, die durch ihre Arbeit den transatlantischen Austausch stärken.


Denkanstöße

Gibt es eigentlich Texte, die Sie bei Ihrem Engagement zum transatlantischen Dialog inspirieren? Auf diese Frage hat uns Frido Mann zwei Bücher empfohlen:

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„Power to the People“ liest sich als ein Plädoyer: wir sollten die Digitalisierung zur Erneuerung unserer Demokratie zu nutzen. Die Autoren Georg Diez und Emmanuel Heisenberg zeigen auf, wie digitale Formate eine Chance für mehr Mitbestimmung bieten. Erschienen 2020 im Hanser Verlag.


Obwohl  „Timebends“ von Arthur Miller bereits 1987 erschien, bleibt es ein lesens-wertes, herausragendes, Werk. Miller, der Sohn polnischer Einwanderer und berühmte Dramatiker, schildert darin seine Kindheit in New York, die Jahre der McCarthy-Ära und seine Ehe mit Marilyn Monroe. Ein Buch, das Lebensbericht und Gesellschaftsportrait zugleich ist. Die amerikanische Originalausgabe erschien bei Groove Press Inc., die deutsche Übersetzung „Zeitkurven“ beim S. Fischer Verlag.